Beeplog.de - Kostenlose Blogs Hier kostenloses Blog erstellen    Nächstes Blog   

Die Geschichte vom Tannenbaum
Von Unbekannt (Mitgliedschaft beendet), 29.11.2010, 21:39

 

 

Die Geschichte vom Tannebaum
Autor: Hans Christian Anderson

Draussen im Walde stand ein niedlicher Tannenbaum; er hatte einen guten Platz, die Sonne konnte zu ihm dringen, Luft war genug da, und ringsherum wuchsen viele grössere Kameraden, Tannen und Fichten. Aber der kleine Tannenbaum wollte immer wachsen und wachsen; er dachte nicht an den warmen Sonnenschein und die frische Luft, bekümmerte sich nicht um die Bauernkinder, die dort gingen und plauderten, wenn sie draussen im Walde umherschwärmten, um Erdbeeren und Himbeeren zu sammeln. Oftmals kamen sie mit einem ganzen Topfe voll oder hatten Erdbeeren auf Strohhalme gezogen. Dann setzten sie sich neben das Bäumchen und sagten:" Nein, wie niedlich klein ist der!" Das gefiel dem Baume durchaus nicht.

Im nächsten Jahre war er schon um einen langen Schuh grösser, und das Jahr darauf war er wieder noch um einen länger; denn bei einem Tannenbaume kann man, sobald man zählt, wie oft er einen neuen Trieb angesetzt hat, genau die Jahre seines Wachstums berechnen.

"Oh, wäre ich doch ein so grosser Baum wie die anderen!", seufzte das Bäumchen. "Dann könnte ich meine Zweige weit ausbreiten und mit dem Wipfel in die weite Welt hinausschauen! Dann würden die Vögel ihre Nester zwischen meinen Zweigen bauen, und wenn es stürmte, könnte ich so vornehm nicken, wie dort die anderen."


Weder der Sonnenschein noch die Vögel, oder die roten Wolken, die morgens und abends  über ihn hinsegelten, machten ihm Freude. War es nun Winter und Schnee lag  ringsherum blendend weiss, dann kam oft ein Hase angesprungen und setzte gerade über das Bäumchen fort. Oh, das war empörend! Aber zwei Winter verstrichen und im dritten war der Baum schon so hoch, dass der Hase um ihn herumlaufen musste. "Oh, wachsen, wachsen, gross und alt werden, das ist doch das einzig Schöne in der Welt!" dachte der Baum. Im Spätherbst erschienen regelmässig Holzhauer und fällten einige der grössten Bäume. Das geschah jedes Jahr, und den jungen Tannenbaum, der nun schon tüchtig in die Höhe geschossen war, befiel Zittern und Beben dabei, denn mit Gepolter und Krachen stürzten sie zur Erde, die Zweige wurden ihnen abgehauen, sie sahen nun ganz nackt, lang und schmal aus, sie waren kaum noch wiederzuerkennen. Dann aber wurden sie auf Wagen gelegt, und Pferde zogen sie von dannen aus dem Wald hinaus.
Wohin sollten sie? Was stand ihnen bevor?

Als im Frühjahr die Schwalbe und der Storch kamen, fragte sie der Baum:" Wisst ihr nicht, wohin sie geführt wurden? Seid ihr ihnen nicht begegnet?" Die Schwalbe wusste nichts, doch der Storch sah sehr nachdenklich aus, nickte mit dem Kopf und sagte:" Ja, ich glaube fast; mir begegneten auf dem Rückweg  von Ägypten viele neue Schiffe. Auf denselben standen prächtige Mastbäume; ich darf wohl behaupten, dass sie es waren; sie verbreiteten Tannengeruch. Ich kann vielmals grüssen, sie überragen alles, sie überragen alles!"

"Oh, wäre ich doch auch gross genug, um über das Meer hinauszufliegen. Wie ist es eigentlich, dieses Meer, und wem ähnelt es?" "Ja, das ist etwas weitläufig zu erklären!", sagte der Storch und ging.
"Freu dich deiner Jugend!", sagten die Sonnenstrahlen. "Freu dich deines Wachstums, des jungen Lebens, das dich erfüllt!"


Und der Wind küsste den Baum, und der Tau weinte Tränen über ihn, allein der Tannenbaum verstand es nicht. In der Weihnachtszeit wurden ganz junge Bäume gefällt, Bäume, die nicht einmal so gross waren, noch in demselben Alter standen wie dieses Tannenbäumchen, das weder Ruh noch Rast hatte, sondern nur immer weiter wollte. Diese jungen Bäumchen, und es waren gerade die allerschönsten, behielten immer ihre Zweige, sie wurden auf Wagen gelegt, und Pferde zogen sie aus dem Walde.
"Wohin sollen sie?", fragte der Tannenbaum. "Sie sind nicht grösser als ich, ja, da war sogar einer, der noch weit kleiner war. Weshalb behielten sie ihre Zweige, wo fahren sie hin?"
"Das wissen wir, das wissen wir!", zwitscherten die Sperlinge. "Unten in der Stadt haben wir zu den Fenstern hineingeschaut. Wir wissen, wohin sie fahren! Oh, sie gelangen zur grössten Pracht und Herrlichkeit, die sich denken lässt! Wir haben zu den Fenstern hineingeschaut und gesehen, dass sie mitten in der warmen Stube hineingepflanzt und mit herrlichsten Sachen, mit vergoldeten Äpfeln, Honigkuchen, Spielzeug und vielen hundert Lichtern ausgeschmückt wurden!"
"Und dann?", fragte der Tannenbaum und bebte in allen Zweigen. "Und dann? Was geschieht dann?"
"Ja, mehr haben wir nicht gesehen, es war unvergleichlich!"
"Ob auch mir dieses Los zufallen wird, diesen strahlenden Weg zu gehen?", jubelte das Bäumchen. "Das ist noch besser, als über das Meer zu gehen. Wie mich die Sehnsucht verzehrt! Wäre es doch Weihnachten! Jetzt bin ich hoch und erwachsen wie die anderen, die das letzte Mal fortgeführt wurden. Oh, wäre ich erst auf dem Wagen! Wäre ich erst in der Stube mit all ihrer Pracht und Herrlichkeit! Und dann? Ja, dann kommt noch etwas Besseres, noch Schöneres, weshalb würde man mich sonst so ausschmücken! Da muss noch etwas Grösseres, noch etwas Herrlicheres kommen...! Aber was? Oh, ich leide, mich verzehrt die Sehnsucht; ich weiss selber nicht, wie mir zumute ist!"
"Freue dich meiner!", sagten die Luft und der Sonnenschein;"freue dich deiner frischen Jugend draussen im Freien!"
Aber das Bäumchen freute sich gar nicht; es wuchs und wuchs, Winter und Sommer stand es grün; dunkelgrün stand es da! Die Leute, die es sahen, sagten:" Das ist ein hübscher Baum!", und zur Weihnachtszeit wurde er zuerst von allen gefällt! Die Axt hieb tief durch das Mark; der Baum fiel mit einem Seufzer zu Boden. Er fühlte einen Schmerz, eine Ohnmacht, er vermochte an gar kein Glück zu denken. Er war betrübt, von der Heimat zu scheiden, von dem Flecke, auf dem er emporgeschossen war. Er wusste ja, dass er nie mehr die lieben, alten Kameraden, die kleinen Büsche und Blumen ringsumher, ja vielleicht nicht einmal die Vögel sehen würde. Die Abreise war durchaus mit keiner Behaglichkeit verbunden.


Der Baum kam erst wieder zu sich, als er im Hofe, mit den anderen Bäumen abgeladen, einen Mann sagen hörte:" Der ist prächtig! Wir brauchen keinen anderen!"
Nun kamen zwei Diener im vollen Staate und trugen den Tannenbaum in einen grossen, prächtigen Saal. Ringsumher an den Wänden hingen Portraits, und neben dem grossen Ofen standen chinesische Vasen mit Löwen auf den Deckeln. Da gab es Schaukelstühle, Sofas mit seidenen Überzügen, grosse Tische, bedeckt mit Bilderbüchern und Spielzeug für hundertmal hundert Taler - wenigstens behaupteten das die Kinder. Der Tannenbaum wurde in ein grosses mit Sand gefülltes Gefäss gestellt, doch konnte niemand bemerken, dass es ein Gefäss war, denn es wurde ringsherum mit grünem Zeug behängt und stand auf einem grossen, bunten Teppiche. Oh, wie der Baum bebte! Was sollte doch nun geschehen? Sowohl die Diener, als auch die Fräulein kamen und putzten ihn aus. Über die Zweige hängten sie kleine, aus buntem Papier ausgeschnittene Netze; jedes Netz war mit Zuckerwerk gefüllt. Vergoldete Äpfel und Walnüsse hingen wie festgewachsen herab, und über hundert rote, blaue und weisse Lichterchen wurden an den Zweigen befestigt. Puppen, die wie leibhaftige Menschen aussahen - der Baum hatte solche nie zuvor gesehen - schwebten im Grünen, und ganz oben auf der Spitze strahlte ein Stern aus Flittergold. Es war prächtig, ganz und unvergleichlich prächtig!
"Heute abend", sagten alle, 'heute abend wird er strahlen!"  "Oh", dachte der Baum, "wäre es doch erst Abend! Würden doch nur die Lichter bald angezündet! Und was mag dann geschehen? Ob die Sperlinge gegen die Fensterscheiben fliegen? Ob ich hier festgewachsen und Winter und Sommer  geschmückt dastehen werde?"


Er wusste wirklich gut Bescheid! Aber er hatte aus lauter Sehnsucht förmlich Borkenweh, und Borkenweh ist für einen Baum ebenso schlimm, wie Kopfweh für uns andere.
Nun wurden die Lichter angezündet . Welcher Glanz! Welche Pracht! Der Baum bebte in allen Zweigen dabei, so dass einige Nadeln an einem der Lichter Feuer fingen. Es sengte ordentlich.
"Gott bewahre uns!", schrien die Fräulein und löschten es schnell aus.
Nun durfte der Baum nicht einmal beben. Oh, das war ein Graus! Er war so besorgt, etwas von all seinem Staate zu verlieren; er war von all dem Glanze wie betrübt. Und nun öffneten sich beide Flügeltüren, und eine Menge Kinder stürzten herein, als ob sie den ganzen Baum umrennen wollten. Die älteren Leute kamen bedächtig hinterher; die Kleinen standen ganz stumm, aber nur einen kurzen Augenblick, dann jubelten sie wieder so, dass es widerhallte. Sie tanzten um den Baum, und ein Geschenk nach dem anderen wurde abgepflückt.
"Was haben sie nur vor?", dachte der Baum. "Was soll da geschehen?"


Die Lichter brannten bis auf die Zweige herunter, und darauf löschte man sie aus, und die Kinder erhielten die Erlaubnis, den Baum zu plündern. Oh, die stürzten auf ihn los, dass es in allen Zweigen krachte. Wäre er nicht mit der Spitze und dem goldenen Stern an der Decke befestigt gewesen, so hätten sie ihn sicher umgeworfen.
Die Kinder tanzten nun mit ihrem prächtigen Spielzeug umher. Niemand beachtete den Baum, mit Ausnahme der alten Kinderfrau, die aufmerksam zwischen die Zweige blickte; aber sie wollte nur nachsehen, ob nicht eine Feige oder ein Apfel vergessen war.
"Eine Geschichte, eine Geschichte!", riefen die Kinder und zerrten einen dicken Mann nach dem Baume hin. Er setzte sich gerade unter demselben hin, "denn so", meinte er,  "sind wir im Grünen, und der Baum kann sich besonders eine Lehre daraus ziehen, wenn er gut aufmerkt. Aber ich erzähle nur eine Geschichte. Wollt ihr die von Ibede-Abede hören, oder die von Klumpe-Dumpe, der die Treppe hinabfiel und sich doch auf den Thron schwang und die Prinzessin erhielt?"
"Ibede-Abede!", schrien einige,, "Klumpe-Dumpe!", schrien andere. Was war das für ein Rufen und Durcheinanderschreien! Nur der Tannenbaum schwieg still und dachte:" Soll ich nicht mitraten, will ich auch nicht mitraten!" Seine Rolle war vorrüber, er hatte ja seine Schuldigkeit getan!
Der Mann erzählte von Klumpe-Dumpe, der die Treppe hinabfiel und sich auf den Thron schwang und die Prinzessin erhielt. Und die Kinder klatschten in die Hände und riefen:" Erzähle, erzähle!" Sie wollten auch noch die Geschichte von Ibede-Abede hören, mussten sich aber mit Klumpe-Dumpe begnügen. Der Tannenbaum stand ganz still und gedankenvoll, nie hatten die Vögel draussen im Walde dergleichen erzählt. Klumpe-Dumpe fiel die Treppe hinab und bekam doch die Prinzessin! "Ja, ja, so geht es in der Welt zu!", dachte der Tannenbaum und hielt es für Wahrheit, weil der Erzähler so ein netter Mann war. "Ja, ja, wer kann wissen, vielleicht falle ich auch die Treppe hinab und bekomme eine Prinzessin! Und er freute sich darauf, den nächsten Tag wieder mit Lichtern und Spielzeug, mit Gold und Früchten bekleidet zu werden.
"Morgen werde ich nicht zittern!', dachte er. "Ich werde eine recht herzliche Freude über alle meine Herrlichkeit empfinden. Morgen werde ich wieder die Geschichte von Klumpe-Dumpe hören und vielleicht auch die von Ibede-Abede." Und der Baum stand die ganze Nacht still und gedankenverloren da.


Am folgenden Morgen traten die Diener und Mägde herein. "Nun beginnt der Staat von neuem!', dachte der Baum, aber sie schleppten ihn zum Zimmer hinaus, die Treppe hinauf bis auf den Boden, und dort stellten sie ihn in einen dunklen Winkel, wohin kein Tageslicht fiel. "Was hat denn das zu bedeuten?', dachte der Baum. "Was habe ich denn hier zu tun? Was mag ich denn hier hören sollen?" Er lehnte sich gegen die Mauer und stand da und sann und sann. Und Zeit hatte er genug dazu, denn es verstrichen Tage und Nächte. Niemand kam herauf, und als endlich jemand kam, geschah es nur zu dem Zwecke, einige grosse Kästen in den Winkel zu stellen. Der Baum stand so versteckt, dass man hätte meinen können. er wäre rein in Vergessenheit geraten.
"Nun ist draussen Winter!", dachte der Baum. "Die Erde ist hart, mit Schnee bedeckt, die Menschen können  mich nicht pflanzen; deshalb soll ich wahrscheinlich bis zum Frühling  hier im Schutze stehen! Wie fürsorglich das doch ist!  Wie gut die Menschen doch sind! Wäre es hier  nur nicht so dunkel und so schrecklich einsam! Nicht einmal  ein Häschen ist hier zu finden! Draussen im Walde war es doch lustig , wenn der Schnee lag  und der Hase vorübersprang, ja selbst, wenn er über mich hinwegsetzte; aber damals gefiel es mir freilich nicht. Hier oben ist es doch entsetzlich einsam!"
"Piep, piep!", sagte plötzlich eine Maus und schlüpfte hervor, und darauf kam noch eine kleine. Sie schnüffelten an dem Tannenbaume und schmiegten sich durch die Zweige desselben. "Es herrscht eine furchtbare Kälte!", sagten die Mäuschen. "Sonst ist hier ein vortrefflicher Aufenthalt! Nicht wahr, du alter Tannenbaum.
"Ich bin doch gar nicht alt!", versetzte der Tannenbaum. "Es gibt viel ältere als ich es bin!"
"Wo kommst du her?", fragten die Mäuse. "Und was weisst du?" Sie waren gewaltig neugierig. "Erzähle uns doch von dem herrlichsten Plätzchen auf Erden! Bist du schon dort gewesen? Bist du schon in der Speisekammer gewesen, wo Käse auf Brettern liegen und Schinken unter der Decke hängen, wo man auf Talglichtern tanzt, mager hineingeht und fett herauskommt?"
"Die kenne ich allerdings nicht", sagte der Baum, "aber den Wald kenne ich, wo die Sonne scheint und die Vögel singen!" Darauf erzählte er ihnen alle Erlebnisse seiner Jugend, und die Mäuschen hatten dergleichen nie zuvor gehört, lauschten aufmerksam zu und sagten:" Wieviel du doch gesehen hast! Wie glücklich du gewesen bist!"
"Ich!", versetzte der Tannenbaum und dachte nun erst über seine eigene Erzählung nach. "Ja, im Grunde waren es recht lustige Zeiten!" Aber dann erzählte er vom Weihnachtsabend, wo er mit Lichtern und Kuchen aufgeputzt war.
"Oh!", sagten die Mäuschen. "Wie glücklich du gewesen bist, du alter Tannenbaum!"
"Ich bin durchaus nicht alt!", erwiderte der Tannenbaum. "Erst in diesem Winter bin ich ja aus dem Walde gekommen! Ich stehe in meinem allerbesten Alter, ich bin nur sehr gewachsen!'
"Wie schön du erzählst!", sagten die Mäuschen, und in der nächsten Nacht kamen sie mit vier anderen kleinen Mäuschen wieder, die auch den Baum sollten erzählen hören, und je mehr er erzählte, desto lebhafter trat es ihm selbst vor Augen und er dachte:" Es waren doch wirklich glückliche Zeiten! Aber sie können wiederkommen, sie können wiederkommen!"
Und dabei fiel dem Tannenbäumchen eine kleine Birke ein, die draussen im Walde wuchs und ihm wie eine leibhaftige schöne Prinzessin erschien.
"Wer ist Klumpe-Dumpe?", fragten die Mäuschen. Nun erzählte der Tannenbaum das ganze Märchen, dessen er sich Wort für Wort entsinnen konnte. Und die Mäuschen wären aus lauter Freude fast in die Spitze des Baumes gesprungen. In der folgenden Nacht versammelten sich noch weit mehr Mäuse , und am Sonntage kamen sogar zwei Ratten. Die behaupteten aber, die Geschichte sei nicht lustig, und das betrübte die Mäuschen, denn sie kam ihnen nun auch schon weniger schön vor.
"Können Sie nur die eine Geschichte erzählen?", fragten die Ratten.
"Nur die eine!", antwortete der Baum. "Ich hörte sie an meinem glücklichstem Abend, aber damals dachte ich nicht daran, wie glücklich ich war!"
"Dies ist eine höchst elende Geschichte! Wissen Sie keine von Speck und Talglichtern?"
"Nein!", sagte der Baum.
"Nun, dann danken wir dafür!, erwiderten die Ratten und kehrten zu den Ihrigen zurück.


Zuletzt blieben die Mäuschen auch fort, und da seufzte der Baum:" Es war doch ganz hübsch, als sie um mich sassen, die munteren Mäuschen, und auf meine Erzählungen lauschten!  Nun ist das gleichfalls vorbei. Aber meine Freude soll von neuem beginnen, wenn ich wieder hervorgeholt werde!"
Aber wann ereignete sich das?
Ja, es war eines Morgens, da kamen Leute herauf und kramten auf dem Boden umher. Die Kästen erhielten einen neuen Platz und der Baum wurde hervorgezogen. Sie warfen ihn allerdings etwas unsanft auf den Fussboden, aber sofort schleppte ihn ein Hausknecht zur Treppe hin, wo das Tageslicht schimmerte.

"Nun beginnt das Leben wieder!", dachte der Baum. Er fühlte die frische Luft, den ersten Sonnenstrahl - und nun war er draussen auf dem Hofe. Alles ging so schnell , dass  der Baum völlig vergass, sich selbst zu betrachten; zuviel Neues war ringsumher anzustaunen. Der Hof stiess an einen Garten, und alles darin stand in voller Blüte. Die Rosen hingen frisch und duftend über den kleinen Staketenzaun hinüber, die Lindenbäume blühten, und die Schwalben flogen umher und zwitscherten:" Quirre birrebit, mein Mann ist gekommen!" Aber den Tannenbaum meinten sie damit nicht.
"Nun will ich leben!", jubelte dieser und breitete seine Zweige weit aus. Ach, sie waren alle vertrocknet und gelb, und zwischen Unkraut und Nesseln lag er in einem Winkel da. Der Goldpapierstern sass noch oben auf der Spitze und leuchtete im hellsten Sonnenscheine. 


Auf dem Hofe selbst spielten ein paar von den lustigen Kindern, die am Weihnachtsabend um den Baum getanzt hatten und dabei so fröhlich gewesen waren.  Eines der Kleinsten lief hin und trat auf die Zweige, dass sie unter seinen Stiefeln knackten. Und der Baum betrachtete all die Blumenpracht und Frische im Garten, betrachtete dann sich selbst  und wünschte, dass er in seinem finsteren Winkel auf dem Boden geblieben wäre. Er gedachte seiner frischen Jugend im Walde, des lustigen Weihnachtsabends und der kleine Mäuse, die so fröhlich der Geschichte von Klumpe-Dumpe zugelauscht hatten.
"Vorbei, vorbei!", seufte der arme Baum. "Hätte ich mich doch gefreut, als ich es noch konnte! Vorbei, vorbei!"
Der Hausknecht kam und hieb den Baum in kleine Stücke, ein ganzes Bund lag da; hell loderte es auf unter dem grossen Braukessel. Er seufzte tief, jeder Seufzer ertönte wie ein kleiner Schuss. Deshalb liefen die Kinder, die draussen spielten, herbei, setzten sich vor das Feuer, schauten hinein und riefen:" Piff, paff!" Aber bei jedem Knalle, der ein tiefer Seufzer war, gedachte der Baum eines Sommertages  im Walde, einer Winternacht draussen, wenn die Sterne glänzten. Er gedachte des Weihnachtsabends und des Klumpe-Dumpe, des einzigen Märchens, das er gehört hatte und zu erzählen wusste - und dann war der Baum verbrannt.
Die Knaben spielten im Hofe, und der Kleinste hatte auf der Brust den Goldstern, den der Baum an seinem glücklichstem Abende getragen hatte. Nun war dieser vorüber und mit diesem auch der Baum nebst seiner Geschichte.

Vorbei, vorbei - und so geht es mit allen Geschichten.   

 

 Image Hosted by ImageShack.us

[Kommentare (0) | Permalink]


Kommentar zu diesem Eintrag erstellen:

Name:
(Gast)

Möchtest du als Registrierter schreiben, dann kannst du dich hier einloggen oder neu registrieren!

Bitte übertrage die folgende Zahl in das Feld:


Text:

 



Blog powered by Beeplog.de

Die auf Weblogs sichtbaren Daten und Inhalte stammen von
Privatpersonen. Beepworld ist hierfür nicht verantwortlich.

Engel und Elfenseite
 · blueangel

Gedichteseite

Lebenpur

Glaubenskraft
 · glauben

Autorentreff
 · Autorentreff

Meine Herkunft

Kalender
« Mai, 2024 »
Mo Di Mi Do Fr Sa So
  12345
6789101112
13141516171819
20212223242526
2728293031  

engel_rosina