Beeplog.de - Kostenlose Blogs Hier kostenloses Blog erstellen    Nächstes Blog   

Des fremden Kindes heiliger Christ
Von Unbekannt (Mitgliedschaft beendet), 14.12.2008, 01:30

 

 

Es läuft ein fremdes Kind
am Abend vor Weihnachten
durch eine Stadt geschwind,
die Lichter zu betrachten,
die angezündet sind.
*
Es steht vor jedem Haus
und sieht die hellen Räume,
die drinnen schaun heraus,
die lampenvollen Bäume;
weh wird’s ihm überaus.

*
Das Kindlein weint und spricht:
"Ein jedes Kind hat heute
ein Bäumchen und ein Licht,
und hat daran seine Freude,
nur bloß ich armes nicht!

*
"An der Geschwister Hand,
als ich daheim gesessen,
hat es mir auch gebrannt;
doch hier bin ich vergessen
in diesem fremden Land.

*
"Läßt mich denn niemand ein
und gönnt mir auch ein Fleckchen?
In all’ den Häuserreih’n,
ist denn für mich kein Eckchen,
und wär’ es noch so klein?

*
"Läßt mich denn niemand ein?
Ich will ja selbst nichts haben,
ich will ja nur am Schein
der fremden Weihnachtsgaben
mich laben ganz allein!"

*
Es klopft an Tür und Tor,
an Fenster und an Laden,
doch niemand tritt hervor,
das Kindlein einzuladen;
sie haben drin’ kein Ohr.

*
Ein jeder Vater lenkt
den Sinn auf seine Kinder;
die Mutter sie beschenkt,
denkt sonst nichts mehr noch minder.
Ans Kindlein niemand denkt.

*
"O lieber, heil’ger Christ!
Nicht Mutter und nicht Vater
hab ich, wenn du’s nicht bist.
O sei du mein Berater,
weil man mich hier vergißt!"

*
Das Kindlein reibt die Hand,
sie ist von Frost erstarret;
es kriecht in sein Gewand
und in dem Gäßlein harret,
den Blick hinaus gewandt.

*
Da kommt mit einem Licht
durchs Gäßlein hergewallet,
im weißen Kleide schlicht,
ein ander Kind; - wie schallet
es lieblich, da es spricht:

*
"Ich bin der heil’ge Christ,
war auch ein Kind vordessen,
wie du ein Kindlein bist.
Ich will dich nicht vergessen,
wenn alles dich vergißt;

*
Ich bin mit meinem Worte
bei allen gleichermaßen;
ich biete meinen Hort
so gut hier auf den Straßen,
wie in den Zimmern dort.

*
Ich will dir deinen Baum,
fremd’ Kind, hier lassen schimmern
auf diesem offnen Raum
so schön, daß die in Zimmern
so schön sein sollen kaum."

*
Da deutet mit der Hand
Christkindlein auf zum Himmel,
und droben leuchtend stand
ein Baum voll Sterngewimmel
vielfältig aufgespannt.

*
So fern und doch so nah,
wie funkelten die Kerzen!
Wie ward dem Kindlein da,
dem fremden, still zu Herzen,
das seinen Christbaum sah!

*
Es ward ihm wie im Traum;
da langten hergebogen
Englein herab vom Baum
zum Kindlein, das sie zogen
hinauf zum Lichten Raum.

*
Das fremde Kindlein ist
zur Heimat nun gekehret
bei seinem heil’gen Christ;
und was hier wird bescheret,
es dorten leicht vergißt.

Friedrich Rückert 1788 - 1866

ext. Bild ext. Bildext. Bild

 

[Kommentare (0) | Permalink]


Kommentar zu diesem Eintrag erstellen:

Name:
(Gast)

Möchtest du als Registrierter schreiben, dann kannst du dich hier einloggen oder neu registrieren!

Bitte übertrage die folgende Zahl in das Feld:


Text:

 



Blog powered by Beeplog.de

Die auf Weblogs sichtbaren Daten und Inhalte stammen von
Privatpersonen. Beepworld ist hierfür nicht verantwortlich.

Engel und Elfenseite
 · blueangel

Gedichteseite

Lebenpur

Glaubenskraft
 · glauben

Autorentreff
 · Autorentreff

Meine Herkunft

Kalender
« Mai, 2024 »
Mo Di Mi Do Fr Sa So
  12345
6789101112
13141516171819
20212223242526
2728293031  

engel_rosina